Kindheit und Jugend

Zugegeben, der Titel dieses Beitrags klingt ein wenig dramatisch und mag durchaus den Anschein erwecken, dass dies eine Regelmäßigkeit ist in meinem Leben und ich tatsächlich über 100 Bücher im Jahr lese. Dies entspricht allerdings nicht der Realität.

Schon in meiner Kindheit habe ich gerne Bücher aufgeschlagen und gelesen. Ich liebte das Geräusch eines Buches, wenn man es aufgeklappt hat. Diese knarzen der Seiten eines Hardcover war wie Musik in meinen Ohren und ist es heute auch noch. Ein ganz besonderer Moment war es immer, in ein neues und frisches Buch den Kopf mit dem Gesicht voraus reinzustecken und eine tiefe Nase zu nehmen. Bücher haben einen ganz besonderen Geruch vergleichbar mit dem von Neuwagen.

Als Kind konnte ich Stunden vor einem dicken Wälzer verbringen, was bis in die frühe Jugend gereicht hat, wo sich dann die Interessen doch etwas verändert haben.

Da gab’s dann so Dinge wie Computerspiele, Partys, Filme und andere Dinge, die einen vom Testosteron gesteuerten Jugendlichen faszinieren.

Das Entstehen einer Gewohnheit

Erst mit 25, also im Jahre 2015, habe ich das Lesen wieder für mich entdeckt. In diesem Jahr hatte ich gerade einmal 11 Bücher gelesen und war extrem stolz darauf, wenn ich regelmäßig 10 Seiten am Tag geschafft habe.

Im Vergleich zum Pensum in der Kindheit und Jugend war das nicht wirklich viel. Aber ein kleiner Schritt in eine aus heutiger Sicht überaus lohnenswerte Richtung.

Über die Jahre hinweg habe ich mir auf diese Weise eine täglich Routine aufgebaut, die mir bis heute in Fleisch und Blut übergegangen ist. Ich bin zum Leser geworden, wie das James Clear in Atomiv Habits so schön formuliert.

Es gehört mittlerweile zu meinem Alltag, dass ich täglich etwa 70 Seiten lese, natürlich abhängig von Schrift-, Absatz-, Buchgröße, Thematik und Sprache. Ich plane diese Seitenanzahl zukünftig weiter zu steigern.

Wie man ein Dogma bricht

Bis in das Jahr 2020 war es meine feste Überzeugung, dass ich bei Rahmenbedingungen wie einer Arbeit in Vollzeit keine 100 Bücher pro Jahre lesen könnte. Und das erst recht nicht, mit einem Studium in Vollzeit sowie einer Arbeit in Vollzeit.

Ich war also der felsenfesten Überzeugung, dass das für mich unmöglich wäre. Vielleicht hätte ich eine Chance in Teilzeit oder mit einem halbe Jahr Arbeitslosigkeit aber nicht mit den oben genannten Rahmenbedingungen.

Genau das war mein Glaubenssatz. Ich hatte ein Dogma.

Unter einem Dogma versteht man eine feststehende Definition oder eine grundlegende, normative Lehraussage, deren Wahrheitsanspruch als unumstößlich festgestellt wird.

100 Bücher im Jahr zu lesen war für mich ein unumstößlicher Glaubenssatz – bis zum 1. Januar 2021.

An diesem Tag aber auch schon im Vorfeld, da sich diese Entwicklung schon im November 2020 abgezeichnet hatte, habe ich dieses Dogma gebrochen.

Lässt sich daraus schlussfolgern, dass sich ein Dogma nur durch eine reale und persönliche Erfahrung brechen lässt?

Meine tägliche Routine

Die Rahmenbedingungen für 2020 sahen wie folgt aus.

Ich habe in Vollzeit gearbeitet bei einer 35 Stunden Woche und zudem ein Master Studium in Vollzeit absolviert. In 2020 habe ich mich im 1. und 2. Semester befunden mit entsprechenden Prüfungen und Deadlines wissenschaftlicher Arbeiten.

Somit hatte ich nur einen begrenzten Zeitraum, welchen ich für das Lesen aufwenden konnte.

Wenn ich mein gesamtes Jahr 2020 runterbreche, bestand mein Tag aus drei Dingen. Arbeiten, Studium und Lesen. Zwischendurch war ich noch Einkaufen, habe gekocht, bin meinen hygienischen Bedürfnissen nachgekommen und habe natürlich auch geschlafen.

Mein Tagesablauf unter der Woche hat wie folgt ausgesehen.

Ich bin um 6 Uhr aufgestanden und habe 2 Stunden gelesen bis 8 Uhr. An Tagen die ich nicht im Home Office verbringen konnte musste ich diese Zeit um 30 Minuten reduzieren auf 7:30 Uhr. Diese Tage kamen allerdings nicht sehr häufig vor.

Ab 16 Uhr hatte ich Feierabend und habe dann weitere 2 Stunden bis 18 Uhr mit Lesen verbracht.

Zwischen 18 und 20 Uhr habe ich gekocht, gegessen. Im Anschluss bin ich studentischen Aufgaben nachgekommen. Sind hier keine Aufgaben angefallen habe ich ab 20 Uhr bis 22 Uhr gelesen. Hin und wieder auch bis 23 Uhr, je nach Energielevel.

In Summe sind das pro Werktag mindestens 4 Stunden Lesezeit. In dieser Zeit habe ich etwa 60 – 80 Seiten lesen können abhängig natürlich von den oben bereits erwähnten Rahmenbedingungen der Lektüre. Das sind dann zwischen 320 und 400 Seiten von Montag bis Freitag. Folglich in etwa ein Buch, sollte sich die Seitenanzahl innerhalb von diesem Bereich befinden.

An Wochenenden sah meine Routine etwas anders aus.

Ich habe bis 8 Uhr geschlafen, um dann bis 12 Uhr zu lesen. Im Anschluss habe ich gekocht und gegessen sowie nach Möglichkeit einen Spaziergang und Einkäufe eingebaut. Von 16 bis 18 Uhr habe ich wieder gelesen, um im Anschluss bis 20 Uhr wieder meinem Nahrungsbedarf nachzukommen.

Der Rest des Abends wurde entweder für sinnfreie Zeit auf YouTube genutzt oder meiner akademischen Verpflichtung gewidmet.

Dieser Tagesablauf des Samstags lässt sich, bis auf die Einkäufe versteht sich, identisch auf den Sonntag übertragen.

Da ich während meines Master-Studiums eine Level an Disziplin erreicht hatte, was mich selbst in Staunen versetzt hat, bin ich mit meinen Arbeiten überaus zügig vorangekommen und war häufig meilenweit vor Abgabedatum fertig.

Keine Ahnung wo ich jetzt wäre, hätte ich dieses Level an Gehorsam und Disziplin in der Schule zur Anwendung gebracht.

In Summe macht das für Samstag und Sonntag eine Lesezeit von mindestens 12 Stunden, was in etwa 240 Seiten entspricht.

In dieser groben Rechnung sind natürlich nicht die Lesezeiten einkalkuliert, die ich außerhalb dieser Regelzeit aufgewendet habe. Wir können aber grob festhalten, dass ich mindestens 2 Bücher pro Woche gelesen habe. Bei 52 Wochen im Jahr sind das 104 gelesene Bücher im Jahr.

Um auf die Zahl 125 im Beitragstitel zu kommen, fehlen natürlich 21 Bücher. Diese lassen sich durch die Zeit außerhalb der festen Routine erklären. Gelegentlich habe ich Samstag und Sonntag abends mehr gelesen als die Gewohnheit das festgelegt hat.

Statistiken

Für das Jahr 2020 hatte ich mir im Vorfeld vorgenommen, mindestens 70 Seiten pro Tag zu lesen. Ein feste Anzahl an zu lesenden Büchern für das Jahr hatte ich nicht festgelegt.

Am Ende hatte ich im Durchschnitt 92 Seiten gelesen, bei in Summe 32.526 Seiten. Teilt man letztere Zahl durch die Summe der gelesenen Bücher (125), kommt man auf eine durchschnittliche Seitenanzahl von 260 Seiten.

Es handelt sich hierbei also nicht um die vielleicht vermuteten 60 Seiten-Reclam-Bücher, die man zwischen Sofa und Kühlschrank kurz vernascht, um die Statistiken zu schönen.

Mein oberstes Anliegen war es meinen Horizont zu erweitern. Ich bin von Natur aus neugierig und möchte wissen, was in der Welt abgeht. Genau das hat mich das gesamte Jahr angetrieben.

Soziales Leben

Die soziale Komponente darf bei einem solchen Alltag natürlich nicht ignoriert werden.

Ich hatte so gut wie kein soziales Leben außerhalb der Arbeit. Die einzigen Menschen mit denen ich überwiegend in Kontakt stand, waren Kommilitonen und Arbeitskollegen.

So weit ich mich richtig erinnern kann, hatte ich einmal meine Mutter gesehen, einmal mit zwei unterschiedlichen Freunden via Skype kontakt und im gesamten Jahr einmal einen Freund real getroffen. Eine Freundin hatte ich nicht.

Bis auf die regelmäßigen Spaziergänge bin ich nur vor dem Computer oder einem Buch gesessen. Habe kein Fitness oder Vereinssport betrieben und das soziale Leben war praktisch nicht existent. Rückblickend betrachtet und nur auf diese soziale Komponente bezogen ist das schon ein Armutszeugnis.

Das ich dieses Jahr so diszipliniert durchziehen konnte, lag vermutlich daran, dass ich einen großen Stapel Bücher in meinem Zimmer hatte und diese unbedingt und mit aller Gewalt lesen wollte.

Auf lange Sicht ist eine solche Tages- und Wochenroutine vermutlich nicht realisierbar. Zumindest nicht ohne psychische und physische Spuren zu hinterlassen. Und diese Spuren werden wahrscheinlich nicht sehr rosig aussehen.

Nichtsdestotrotz habe ich mir in diesem Jahr bewiesen, dass ich einem falschen Glaubenssatz aufgesessen bin.

Am Ende des Tages kann ich sagen, dass mir dieses Jahr völlig neue Dimensionen aufgezeigt hat.

Die einzigen Bedingungen diese neue Dimension zu leben, ist zu Beginn Disziplin zu zeigen sowie Härte gegen sich selbst. Was daraus nach einigen Wochen entstehen kann ist faszinierend zu beobachten.

Und zwar eine Gewohnheit mit der Konsequenz mentale Barrieren zu durchbrechen. Ob sich das steigern lässt?

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