Aufstieg
Am 31. Dezember 2022 war es soweit. Nach ein paar Stunden dösen im Auto auf einem Parkplatz in Ramsau bei Berchtesgaden und mit wunderschönem Ausblick auf Watzmann und Hochkalter, mache ich mich auf den Weg zum Ausgangspunkt meiner Tour. Dem Parkplatz Wimbachbrücke. Hier starten die meisten zu ihrer Watzmann-Überschreitung.
Es ist kurz vor Mitternacht als ich das Auto abschließe und meinen Rucksack schultere. Während ich meine Stöcke auf meine mir angenehme Länge einstelle erreicht die Silvesterparty um mich herum ihren Höhepunkt. Überall werden Feuerwerkskörper gezündet und verursachen einen heillosen Lärm. Nicht gerade die besten Bedingungen unter denen ein einsamer Bergsteiger für ein paar Stunden sich im Moment verlieren möchte.
Wenn alles gut läuft, werde ich zum Sonnenaufgang am Hocheck sein und die Überschreitung kann beginnen. Noch weiß ich nicht welche Bedingungen und Schwierigkeiten mich oben erwarten werden. Zu Beginn ist da so einiges los im Oberstübchen und ich mache mir unendlich viele Gedanken über zu viel Schnee, der Wegfindung und schwierigen Kletterstellen. Sobald ich jedoch zu meinem Ryythmus beim Laufen finde, verpuffen diese Zweifel und die Gedanken verstreuen sich.
Schon nach ein paar Kilometern merke ich, dass ich mich verlaufen haben. Auf dem breiten Schotterweg bin ich so in Gedanken versunken, inmitten der Nacht und der stiller werdenden Silvesterkrachern, dass ich die Abzweigung zum Watzmannhaus verpasst habe. Also geht es nun einen guten halben Kilometer wieder zurück. Verläuft man sich bei solch einer Aktion beginnt man natürlich wieder zu kalkulieren. Habe ich noch genug Zeit und werde ich es rechtzeitig schaffen bevor der Schnee zu weich wird und so der Aufstieg zu einer Schinderei wird ganz zu schweigen vom Südabstieg über nicht zu unterschätzende Schneefelder.
Ich finde zurück zu meinem Tempo und gelange nach einer kleinen Kletterstelle „querfeldein“ zum Watzmannhaus. Der offizielle Weg ist schon länger nicht mehr sichtbar und durch Schnee zugeschneit. Das Watzmannhaus liegt verlassen in der Dunkelheit und ich mache eine kleine Pause. Trinke etwas und esse einen Riegel. Noch weiß ich nicht, dass hier im Winterraum 10 Bergsteiger schlummern. Später am Hochweck werde ich das erst erfahren. Geräusche habe ich allerdings nicht wahrgenommen. Es ist etwa 3 Uhr mitten in der Nacht und das einzige Geräusche ist der Wind, welcher über die schneebedeckten Hänge streicht.
Nun folge ich der Schneespur in Richtung Hocheck. Ich bin gut in der Zeit, denke ich und mache weiter in gleichmäßigen Schritt mein Tempo. Der Schnee ist nicht allzu weich und es liegt die Spur eines Bergsteigers der ich folge. Gegen 5 Uhr erreiche ich das Hocheck. Zwei Stunden früher als ursprünglich geplant und es ist immer noch stockfinster.
Ich bin etwas überrascht, dass das so schnell und leicht ging. Vielleicht liegt das auch meinem guten Fitnesszustand, den ich mir in der letzten Woche erarbeitet habe. Ich bin auf dem Gipfel des Hohen Göll gewesen sowie dem Sonntagshorn. Darüber hinaus habe ich eine Tour zum Kahlersberg gewagt, welche ich nach 10 Kilometern und 300 Metern unterm Gipfel frustriert abbrechen musste. Zudem bin ich bereits einige Tage zuvor durchs Wimbachgries in Richtung Großer Hundstod aufgebrochen. Auch hier musste ich mich nach 12 Kilometern schneestapfen geschlagen geben. Zu viel und zu weicher Schnee. Auch hier trete ich frustriert den elendslangen Rückweg an. Die hier hart verdiente Fitness spielt mir nun in die Karten.
An der Hocheck Unterstandshütte treffe ich auf zwei Münchner die gerade aus ihren Schlafsäcken gekrochen sind und sich ihr Frühstück bereiten. Wirklich schön hier am 1. Januar des neuen Jahres auf Gleichgesinnte zu treffen, die sich nicht zu schade sind auf die Silvesterparty zu verzichten, um dafür die Watzmann Überschreitung mit all ihren Ungewissheiten in Angriff zu nehmen. Hut ab!
Überschreitung
Nach einem kurzen Plausch und dem Anschnallen meiner Steigeisen bin ich bereit und es geht los. Ich hab mir noch zwei Riegel gegönnt, etwas Wasser getrunken und bin gespannt wie ein Bogen meine Gratüberschreitung in totaler Dunkelheit zu starten. Lange hab ich davon geträumt, nun ist es soweit.
Zu Beginn der Gratüberschreitung gibt es einige Stellen die Drahtseilversichert sind. Eine gute Spur ist noch vorhanden und der Schnee ist dank der Kälte stabil. Aufgrund der Dunkelheit sehe ich nur gähnende schwarze Leere. Ich fühl mich weiterhin gut und komme auch gut voran.
Da ich zu diesem Zeitpunkt noch keine GoPro habe, filme ich kleine Abschnitte hin und wieder mit meinem iPhone. Auch während dem laufen, wobei ich meine ganze Konzentration auf den nächsten Tritt richte, was zur Ursache hat, dass nur etwas verwackelte und ungenaue Aufnahmen entstehen. Mir ist das in diesem Moment egal, ich habe hier die beste Zeit meines Lebens und genieße die Tour.
Mit meiner Petzl Swift RL Stirnlampe sehe ich auch bei kleinster Helligkeitsstufe die Spur über den Grat. Als ich die Mittelspitze erreiche, wird es langsam hell und am Horizont kann ich einen orangeroten Streifen erkennen übe dem eine Schicht Wolken liegt. Ein unglaubliches Spektakel, das ich so noch nie erlebt habe.
Die im Vorfeld ausgemachte Schlüsselstelle liegt immer noch vor mir, ich gehe als konzentriert weiter. Die Stimmen der anderen Bergsteiger hinter mir sind verklungen und ich sehe auch keine Stirnlampen mehr.
Mittlerweile ist die Sonne aufgegangen und ich komme mit jedem Schritt der Südspitze näher. Die Schwierigkeiten lassen etwas nach und es kommt ein kleiner Turm nach dem anderen. Die Stelle an der sich so mancher Anwärter verläuft finde ich direkt, da ich mehrere Videos im Vorfeld angeschaut hatte.
Man steigt etwas ab und traversiert dann unterhalb einem Block schräg nach oben auf den Grat. So geht es weiter bis ich endlich vor der Schlüsselstelle stehe. Diese ist ungesichert, dennoch gibt es kleine Tritte im Schnee.
Die Schlüsselstelle besteht in einem sehr schmalen Gratabschnitt, der östlich direkt in Ostwand mündet und damit extrem ausgesetzt ist. Leider konnte ich in diesem Abschnitt keine Aufnahmen machen, da ich beide Hände für Griffe benötige. Ich setze meine Tritte vorsichtig und tastend in die bereits vorhanden Schritte und such anschließend immer einen soliden Griff.
Der Körper ist bei dieser Stelle damit leicht über der Ostwand und somit über dem Abgrund. Ich spüre das sofort bei dem Gefühl das sich dabei einstellt. Sobald nur noch die Hände und Unterarme nahe der Wand sind und der Körper samt Beinen frei über der Tiefe hängen stellt sich ein ganz bestimmtes Gefühl ein. Dies ist aber nicht zu vergleichen mit einer senkrechten Wand in der man hängt, da man auf dem Grat geht. Man ist quasi nur leicht und kurzzeitig über dem Abgrund, was allerdings ausreicht, damit sich dieses Gefühl bei mir einstellt.
Durch den Schnee wird der Tiefblick auch etwas entschärft, das die weiß Decke etwas niedliches und einladendes hat. Wie Watte würde man sich gerne reinfallen lassen. Natürlich täuscht das aber rein optisch hat es manchmal diesen Effekt.
Die Schlüsselstelle ist geschafft. Nun geht es nur noch die letzten Meter hoch zur Südspitze. An der Südspitze angekommen wird zuerst einmal ganz obligatorisch die Glocke geläutet. Und dann muss ich einen Moment innhalten, denn ich hab es tatsächlich geschafft.
Am Anfang einer solchen Tour zermartert man sich buchstäblich den Kopf und denkt über all die Schwierigkeiten und Unsicherheiten nach. Das nimmt manchmal Ausmaße an, die schon etwas unangenehm sind. Umso glücklicher bin ich nun.
Natürlich ist die Tour noch nicht zu Ende doch ich genieße diesen Moment und bin unfassbar glücklich.
Abstieg
Den gesamten Abstieg über die Südseite bin ich wie in Trance. In Gedanken schwebe ich dahin und lass mich treiben. Schnee im Abstieg ist immer eine angenehme Sache. Ich lasse mich einfach in den nächsten Schritt fallen und komme unglaublich schnell voran.
Meine Münchner Kollegen vom Hocheck habe ich leider nicht mehr gesehen. Durch das Wimbachgries raus bis zum Parkplatz zieht sich die Tour nochmal etwas aber ich bin einfach nur so unglaublich satt und zufrieden, dass ich davon nicht mehr allzu viel mitbekomme.
Besser hätte ich ins neue Jahr 2023 nicht starten können!
Komoot und YouTube
Die gesamte Tour gibt’s auf meinem Komoot-Profil und auf YouTube.